Brief der Initiative an die Gesundheitssenatorin vom 19.12.08

Veröffentlicht auf von Carl-Friedrich Waßmuth

Patienteninitiative gegen die Schließung der reproduktionsmedizinischen Abteilung
der Charité / Kinderwunschzentrum

c/o Fam. Waßmuth
Friedenstraße 3
10249 Berlin, 0179-7724334
 
Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz
Frau Katrin Lompscher
Brückenstr. 6
10179 Berlin
Telefax (030) 9025-2501

19.12.2008
Sehr geehrte Frau Lompscher,

wir haben erfahren, dass die reproduktionsmedizinischen Abteilung der Charité zum 31.21.08 ge-schlossen werden soll. Wir sind seit 2003 Patienten des Kinderwunschzentrum und befinden uns gerade mitten in einer Behandlung. In unseren Sorgen und mit unserer Empörung wenden wir uns an Sie als zuständige Senatorin und Mitglied der Partei Die Linke.

Die Information zur Schließung haben wir nicht von einer offiziellen Stelle der Charité erhalten sondern sozusagen auf dem Krankenhausflur. Sie wurde uns vom Personalrat bestätigt. Wir haben viele mit einer Schließung verbundenen Fragen: Wie geht unsere Behandlung weiter, ist die Qualität weiter gewährlei-stet (eine Ärztin hat schon gekündigt). Dazu kommt ein großer Fragenkomplex rund um die kryokon-servierten Embryonen, der von ethischen Fragen (was geschieht mit den tausenden eingelagerten Embryonen) bis zu ganz praktischen Sorgen reicht (dazu unten mehr). Zur Klärung der Fragen sowie zur Vertretung von Patienteninteressen haben wir die oben genannte Initiative gegründet.

Wir sehen in der Art und Weise der versuchten Schließung (innerhalb von drei Wochen!) einen großen Skandal. Es ist uns darüber hinaus völlig unverständlich, wie man in Europas größter Klinik zu dem Schluß kommen kann, Behandlung, Forschung und Ausbildung in der Reproduktionsmedizin sei kein zukunftsfähiger Bereich mehr.

Wir bitten Sie, sich dafür einzusetzen, die Schließung zunächst für sechs Monate auszusetzen. In diesem Zeitraum können und müssen die Gründe für die Schließung transparent und unter Berück-sichtigung der Patienteninteressen geprüft werden. Parallel sollten vorhandene sowie gegebenenfalls weitere Optionen für einen Weiterbetrieb oder gar Ausbau der Abteilung geprüft werden.

Unserer Auffassung nach liegt in dem schnellen Vorgehen ein fundamentaler Bruch des uns zustehen-den Vertrauensschutzes vor. Wir und andere Patienten haben erst vor wenigen Wochen eine neuen Behandlungszyklus begonnen in der selbstverständlichen Annahme, dass auch die Folgeübertragungen in der Charité vorgenommen werden. Andernfalls hätten wir womöglich von vornherein eine andere Einrichtung aufgesucht. Solche anderen Einrichtung haben selbst nämlich kaum ein finanzielles Interesse an einer reinen Übertragung von gefrierkonservierten Embryonen. Lukrativ sind die ambu-lanten Eingriffe, die die Charité nun bereits "abgeschöpft" hat. Es ist keineswegs gesichert, dass wir von anderen Institutionen für die Weiterbehandlung angenommen werden. Wir lassen derzeit prüfen, ob dieser Umstand nicht auch justiziabel ist.

Abgesehen vom Bruch des Vertrauensschutzes sehen wir uns auch erheblichen praktischen Problemen sowie erwartbaren zusätzlichen Kosten ausgesetzt:
Durch die Schließung der Abteilung würde zwangsläufig für eine Behandlung in einer anderen Institution ein Transport der gefrierkonservierten Embryonen erforderlich. Der Transport im Straßen-verkehr ist nur in waschmaschinengroßen stickstoffgekühlten Behältern zulässig. Man plant bei der Charité offenbar, diesen Transport den Patienten vollkommen allein zu überantworten. Unserer Kenntnis nach ist eine solches Vorgehen im Bereich der Kryokonservierung bundesweit beispiellos. 

Es gibt auch eine Reihe gesellschaftspolitischer Fragen, bei denen wir (auch aufgrund Ihrer Parteizu-gehörigkeit) hoffen, dass Sie unsere Position weitgehend teilen:

So sind wir sind der Überzeugung, dass die Schliessung für die Gesellschaft ein großer Verlust darstellt. Private Fertilitätspraxen sind nämlich in mehrfacher Hinsicht keine Alternative zu einer Reprodukti-onsmedizinischen Abteilung an einem Universitätskrankenhaus. Sie scheinen uns vielmehr sowohl Symptom und als auch Akteur in einer schleichende Privatisierung des Gesundsheitswesens zu sein:

  • Wer einmal eine private Fertilitätspraxis betreten hat, wird möglicherweise unseren Eindruck teilen, dass das eher die Welt von Claudia Schiffer und Kate Moss ist. Teure Teppiche, Original-gemälde an den Wänden und ein bestimmter distinguierter Ton werden vermutlich Hartz-IV-Empfänger schnell zum Aufgeben bringen. Um so mehr, als sich die Behandlung in vielen Fällen über Jahre hinzieht, selbst wenn die Mittel dazu zeitnah aufgebracht werden können.
  • Hinsichtlich der Erkrankung "unerfüllter Kinderwunsch" setzt sich damit eine Ausgrenzung fort. Bereits durch die 2004 eingeführte Verpflichtung für die Patienten, die Hälfte der Kosten zu über-nehmen, wurden bundesweit 50 % aller Patienten mit diesem Krankheitsbild die Hoffnung auf ein eigenes Kind genommen.
  • Mit der Schliessung der reproduktionsmedizinischen Abteilung der Charité wird Patienten die Möglichkeit auf die bestmögliche Behandlung zukünftig womöglich verwehrt. Gerade Patienten, die bereits in private Fertilitätspraxen schlechte Erfahrungen machen mussten, konnten in der Cha-rité doch noch ihren Kinderwunsch erfüllt sehen. Die Qualität der reproduktionsmedizinischen Abteilung der Charité  ist auch von deren Vorstand unbestritten. Trotz der verstärkten Belastung mit schwierigen Fällen liegt die Schwangerschaftsrate und die "Baby-take-home" - Rate genau im Bundesschnitt. Erst vor wenigen Wochen wurde von der zuständigen Senatsabteilung die Lizenz für die Punktion zur Eizellentnahme wieder erteilt. Nun wurde sie offenbar auf Betreiben des Cha-rité-Vorstands bereits wieder zurückgezogen. Wir halten es für eine wichtige Frage hinsichtlich der Klärung, wer überhaupt von der Schließung profitiert,  welche privaten Institutionen nun diese Lizenz statt dessen beantragen.
  • Bevölkerungspolitisch bedeutet die weitere Verlagerung zu den privaten Fertilitätspraxen - verbunden mit der Ausgrenzung über hohen Kosten und rigide Zahlungsbedingungen  - den Ver-zicht auf hunderte von Geburten.


Wir haben den Vorstand der Charité in einem Schreiben aufgefordert, uns vor dem 24.12.08 einen Termin für ein Lösungsgespräch zu nennen. Nach unserer Einschätzung wäre es sinnvoll, wenn Sie als zuständige Vertreterin des Senats dabei sind.

Wir würden uns über eine baldige Rückmeldung freuen und verbleiben


mit freundlichen Grüßen



Carl-Friedrich Waßmuth
(Sprecher der Initiative)



Anlagen

Kopie des Schreiben an den Vorstand der Charité vom 19.12.08
Kopie des Schreibens an den Senatskollegen Prof. Zöllner
Kopie des Schreibens an den Senatskollegen Dr. Sarrazin

Veröffentlicht in Brief

Um über die neuesten Artikel informiert zu werden, abonnieren:
Kommentiere diesen Post